14.06.2025

Zwischen Wehrhaftigkeit und Parteienprivileg – Kein vorschnelles AfD-Verbotsverfahren

Unsere Demokratie ist wehrhaft. Aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und dem unvorstellbaren Grauen des Nationalsozialismus haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes klare Konsequenzen gezogen. Sie schufen eine Verfassung, die nicht nur die Freiheit schützt, sondern auch die Mittel bereitstellt, sie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Die wehrhafte Demokratie ist Ausdruck dieser Lehren – und bleibt bis heute ein zentraler Grundpfeiler unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

In unserem politischen System stehen die Parteien unter einem besonderen Schutz; Artikel 21 Abs. 1 des Grundgesetzes unterstreicht nicht nur diesen Schutz, sondern hebt vor allem  die wichtige Rolle der Parteien bei der Meinungsbildung im Volk hervor. Doch dieser Schutz ist nicht grenzenlos.  Artikel 21 Abs. 2 GG bietet – als Ausfluss der wehrhaften Demokratie – unserer Verfassung die Möglichkeit, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten. Ein solches Parteienverbot ist dabei das schärfste Schwert und kein politisches Mittel, das leichtfertig oder zur Stigmatisierung eingesetzt werden darf. Gerade weil der besondere Schutz von Parteien innerhalb unserer Verfassungsordnung das Herzstück unserer Demokratie ist, bleibt ihr Verbot stets die ultimative Ausnahme in unserer Verfassungsordnung.

Das für das Verbotsverfahren zuständige Bundesverfassungsgericht hat im Zuge der Verbotsverfahren gegen die NPD (heute „Die Heimat“) die zentralen Grundsätze für ein Parteienverbot herausgearbeitet. Ein Blick in diese Urteile zeigt, welch hohen Hürden ein solches Verfahren hat. Nach Rechtsprechung des BVerfG müssen für die Verfassungsfeindlichkeit einer Partei die folgenden Voraussetzungen kumulativ vorliegen:

  1. Eine Partei ist verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden (im Einzelnen hierzu BVerfGE 144, 20, Rn. 528 ff.). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Die Grundentscheidung der Verfassung für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung hat zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, ohne dass dadurch ein Parteiverbot ausgelöst werden kann. Ein Ausschluss aus dem Prozess der politischen Willensbildung kommt erst in Betracht, wenn dasjenige in Frage gestellt und abgelehnt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss (vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 535). 

    Diese sind nach dem Bundesverfassungsgericht:
    • a. Menschenwürde: Ausgangspunkt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist die Menschenwürde. Sie in allen ihren Erscheinungsformen zu achten und zu schützen ist die oberste Pflicht jeden staatlichen Handelns. Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht. Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 538 ff.).
    • b. Demokratieprinzip: Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk. Wie diesen Anforderungen entsprochen wird, ist für die Frage der Vereinbarkeit eines politischen Konzepts mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entscheidend. So vermag die Ablehnung des Parlamentarismus, wenn sie mit der Forderung nach dessen Ersetzung durch ein plebiszitäres System verbunden ist, den Vorwurf der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu begründen. Anders verhält es sich jedoch im Fall eines Verächtlichmachung des Parlaments mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren. Der Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) erfordert daneben, dass sich alle Akte der Ausübung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes zurückführen lassen. Erforderlich ist eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann (vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 542 ff.).
    • c. Rechtsstaatlichkeit: Schließlich ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbarer Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Er zielt auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller Freiheit. Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind dabei die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend (vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 547).

  1. Zweite Voraussetzung für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ist, dass diese eine „Beseitigung“ oder „Beeinträchtigung“ der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Der Begriff des „Beseitigens“ meint die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem. Hingegen ist von einem „Beeinträchtigen“ auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt. Ein „Beeinträchtigen“ liegt daher bereits vor, wenn eine Partei, selbst wenn sie noch nicht erkennen lässt, welche Verfassungsordnung an die Stelle der bestehenden treten soll, qualifiziert die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassungsordnung betreibt. Ausreichend ist, dass sie sich gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet, da diese miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen (vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 548 ff.).
  2. Dass eine Partei die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt, muss sich nach dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG aus den „Zielen“ oder dem „Verhalten ihrer Anhänger“ ergeben. Die „Ziele“ und das „Verhalten der Anhänger“ sind dementsprechend die einzigen Erkenntnisquellen für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei (vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 557 ff.).
  3. Eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung einer Partei reicht für die Anordnung eines Parteiverbots gemäß Art. 21 Abs. 2 GG nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung „ausgeht“. Ein solches „Ausgehen“ setzt bereits begrifflich ein aktives Handeln voraus. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung setzt dies ein planvolles Handeln voraus, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist. Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich. Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen (sog. Potentialität; vgl. BVerfGE 144, 20, Rn. 557 ff.).

Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz am 2. Mai 2025 die Einstufung der Gesamtpartei der Alternative für Deutschland (AfD) als „gesichert rechtsextrem“ bekannt gegeben hat, häufen sich die Forderungen nach einem Verbotsverfahren gegen die AfD von vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die AfD gegen diese Einstufung Klage eingereicht hat. Solange kein rechtskräftiger Abschluss dieser Verfahren vorliegt, besteht eine rechtliche Unsicherheit über die Einstufung.

Die Jungen Liberalen Bayern stellen sich nicht grundsätzlich gegen ein Verbotsverfahren der AfD, halten die aktuellen Rufe nach einer möglichst schnellen Antragstellung jedoch nicht für zielführend. Wir sind überzeugt, dass ein überstürztes Verfahren unserer Demokratie mehr schadet, als es nützt. Mehrere gescheiterte Verfahren, wie es sie im Fall der NPD gab, müssen im Hinblick auf die AfD in jedem Fall verhindert werden. 

Diese Überzeugung stützen wir insbesondere auf die folgenden Punkte:

  1. Die AfD wird von der Einleitung eines Verfahrens politisch profitieren. Ein Parteiverbotsverfahren dauert in der Regel mehrere Jahre, währenddessen wird sich die politische Debatte zwangsläufig verstärkt auf die AfD richten; der Lösung von Problemen durch die demokratischen Parteien wird weniger Aufmerksamkeit zukommen. In dieser Zeit kann sich die AfD gezielt als “Opfer der Systemparteien” inszenieren, eine aufopferungsbereite Märtyrer-Rhetorik bedienen und damit neue Wähler mobilisieren.
  2. Die Gefahr der politischen Instrumentalisierung: Der politische Schaden eines gescheiterten Verfahrens würde insbesondere darin liegen, dass die AfD behaupten könnte, dass sie nach Urteil des BVerfG nicht verfassungsfeindlich sei. Es würde ihr ein weiteres Argument geben, weshalb sie eine „normale“ Partei im demokratischen Spektrum wäre. Darüber hinaus kann ein Vorstoß zum Parteienverbot ohne breite parteiübergreifende Zustimmung leicht als politisches Instrument gedeutet werden. Das gefährdet langfristig das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz und des Bundesverfassungsgerichts als unparteiische Hüterin unserer Verfassung.
  3. Mit einem Verbot der Partei werden nicht die zugrundeliegenden Probleme gelöst. Mit einem Verbotsverfahren werden die demokratischen Parteien keine Stimmen aus dem Lager der AfD zurückholen. Selbst ein erfolgreiches Verbot würde die Anhänger nicht verschwinden lassen, sondern oft in neue, formal andere Zusammenschlüsse treiben – soweit dies rechtlich möglich ist. Ein schlussendliches Verbot gibt den demokratischen Kräften in unserem Land lediglich mehr Zeit zum Handeln.

Vor diesem Hintergrund müssen nach unserer Überzeugung schnellstmöglich die nachfolgenden Hürden abgebaut werden, bevor ein Verbotsverfahren eingeleitet werden kann. Wir fordern daher die antragsberechtigten Verfassungsorgane auf, darauf hinzuwirken, dass

  1. schnellstmöglich mehrere Gutachten (jedoch mind. fünf) renommierter und unabhängiger Verfassungsrechtler zu den Erfolgsaussichten eines Verbotsverfahrens erstellt werden. Entsprechende Mittel sind hierzu durch den Deutschen Bundestag bereitzustellen. Die Gutachter sollen unabhängig voneinander arbeiten und Zugang zu allen Erkenntnissen der Bundesregierung sowie der ihr nachgeordneter Behörden und aller Landesbehörden (§§ 1 II, III, 20 I Nr. 4 BVerfSchG) über die AfD erhalten;
  2. vor der Antragstellung das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte „Gebots der strikten Staatsfreiheit“eingehalten wird;
  3. mit allen ihnen möglichen prozessualen Mitteln darauf hinzuwirken, dass alle Verfahren über die Einstufung der Gesamtpartei AfD als „gesichert rechtsextrem“ höchstrichterlich und rechtskräftig abgeschlossen werden.

Bis dahin gilt es, die AfD inhaltlich zu stellen und den Diskussionen nicht aus dem Weg zu gehen. Wir setzen uns dafür ein, die politische Bildung in der Gesellschaft wieder zu stärken und hierfür auch die Institutionen, welche diesen Zweck verfolgen, entsprechend ausgestattet und in ihrem Handeln unterstützt werden. 

Sollten die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundesrat die o.g. Hürden abgebaut haben und eine positive Prognose für die Verfassungsfeindlichkeit i.S.d Art. 21 Abs. 2 GG vorliegen, halten wir es im Hinblick auf unsere Verpflichtung vor unserem Grundgesetz jedoch für zwingend erforderlich, dass ein Verbotsverfahren gegen die AfD eingeleitet wird.

Antragsteller: Jannik Jürß, Leonard Deutsch, Franz Märtl, Lukas Bohn, Maximilian Funke-Kaiser, Kerry Aileen Hoppe, Nils Gründer, Maximilian Kretschmann, Simon Roloff, Miriam Fehn, Theodor Stöcker, Paul Friedrich, Dominic Hartlieb, Philipp Beckhove, Lucas von Beckedorff, Tobias Strobel, Tim Colsman, Maximilian Wiegand, Caroline Ommer, Karl Tilman von Heygendorff, Nick Kelldorfner, Justus Kunsmann

Gültigkeit: 5 Jahre

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