Deutschland steht im 21. Jahrhundert immer neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gegenüber. Auch Geheimdienste sind daran beteiligt, den Schutz unseres Landes sicherzustellen. Doch dies bringt stets auch Gefahren für unsere Freiheit mit sich, deren Schutz oberste Priorität hat. Deshalb gilt es, geeignete rechtsstaatliche Regelungen zu finden, die diesen beiden Ansprüchen angemessen gerecht werden. Auf keinen Fall dürfen wir zulassen, dass die Freiheit für blinde Sicherheitsbestrebungen geopfert oder dass aufgrund dieser Argumentation der Rechtsstaat ausgehöhlt wird. Denn Sicherheit ist für uns kein „Supergrundrecht“, welches alle anderen ausschaltet.
„Freiheit vs. Sicherheit“
Die JuLis Bayern halten es für eine der wenigen notwendigen Aufgaben des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen. Für uns sind Freiheit und Sicherheit jedoch keine konkurrierenden Ziele: Denn Sicherheit bedeutet für uns den Schutz von grundrechtlich garantierten Rechtsgütern und damit der Freiheit jedes Einzelnen. Die Instrumente zur Wahrung der Sicherheit können diese aber auch massiv gefährden.
Eine pauschale, dauerhafte, anlasslose oder massenhafte, staatliche und kommunale Überwachung lehnen wir daher strikt ab. Dazu zählen insbesondere die Vorratsdatenspeicherung, die Fluggastdatenübermittlung und Strategische Beschränkungen, sowie alle Speicherung von Daten, die in der Lage wären Bewegungsprofile zu erstellen. Wir lehnen weiterhin die gezielte staatliche Videoüberwachung kritischer Plätze ab, da hiermit nur eine Verlagerung der Kriminalität an andere nicht überwachte Orte stattfindet. Zudem entsteht für den einzelnen Bürger in solchen Bereichen kein direkter Sicherheitsgewinn, da die Kameras mangels Personal nicht permanent kontrolliert werden, diese somit nur zur Aufklärung von Straftaten beitragen können, nicht zur Verhinderung. Bürger sind weder grundsätzlich böse, noch permanent an Verbrechen beteiligt.
Deshalb hat sie der Staat auch unter keinen Umständen unter Generalverdacht zu stellen.Aus diesem Grund fordern wir auch, die im Zuge des G10-Gesetzes vorgenommene Änderung des Artikels 10 GG rückgängig zu machen: Ein Staat, der seinen Bürgern die rechtliche Kontrolle seiner Handlungen verwehrt und ihnen Freiheitseinschränkungen verschweigt, verstößt unserer Meinung nach gegen fundamentale Prinzipien des Rechtsstaates. Jeder EU-Bürger sollte so schnell wie möglich, aber nach spätestens 30 Jahren, ausnahmslos von gegen ihn gerichtete Überwachungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt werden und ihm der reguläre Rechtsweg offen stehen.
Auch der Vorschlag, die Nutzung von Verschlüsselungstechniken einzuschränken oder Backdoors in Soft- oder Hardware einbauen zu lassen, widerspricht diesen Prinzipien diametral. Stattdessen muss der Staat bessere Möglichkeiten zum Schutz vor Überwachung und technischen Angriffen fördern, denn er hat die Pflicht, die Freiheit seiner Bürger zu schützen. Um das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherzustellen, müssen auch endlich geeignete rechtliche Rahmen gesetzt werden, die dieses wirksam schützen.
Kontrolle der Geheimdienste
Die deutsche Geschichte zeigt uns, wie gefährlich Geheimdienste für jeden Einzelnen werden können. Auch in der jüngeren Vergangenheit hat die Kontrolle der Dienste in Deutschland leider oft kläglich versagt. Daher fordern wir diesbezüglich eine grundlegende Reform:
- Die Geheimdienste müssen im Austausch mit den Kontrollinstanzen der Wahrheitspflicht unterliegen; die Möglichkeit der Informationsverweigerung wird abgeschafft. Verstöße müssen mit dienst- oder strafrechtlichen Sanktionen geahndet werden. Dies soll auch für die Verletzung von Unterrichtungspflichten gelten. Informationen, die für die gewissenhafte Erfüllung seiner Kontrollaufgabennotwendig sind, sollen dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) auch unaufgefordert zugeleitet werden.
- Das PKGr soll Einsicht in alle relevanten (auch geheime) Akten erhalten dürfen. Geheimnisverrat bleibt selbstverständlich weiter verboten und wird auch bei Abgeordneten verfolgt. Um diesen präventiv zu verhindern, halten wir auch Möglichkeiten wie ausspähsichere Leseräume für akzeptabel.
- Die Dienstvorschriften im Bereich der Nachrichtendienste sollen dem PKGr zur Genehmigung vorgelegt werden müssen, um eine präventive Kontrolle sicherzustellen.
- Das PKGr soll unrechtmäßige Maßnahmen zur Anzeige bringen sowie durch Beschluss die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente anordnen können. Zudem soll es – wie der Verteidigungsausschuss – mit eigenen Rechten eines Untersuchungsausschusses ausgestattet sein. Auf Beschluss von einem Viertel seiner Mitglieder sollen Geheimdienstmitarbeiter vorgeladen und befragt werden können.
- Das Parlamentarische Kontrollgremium muss eine eigene Geschäftsstelle mit ausreichend Mitarbeitern erhalten, welche über ein ausreichendes technisches Know-How verfügen sollen und sich auch mit den Abgeordneten als Geheimnisträger austauschen dürfen, um diese bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
- Die Mitglieder des PKGr sollen jederzeit, unangemeldet und ungehindert Zugang vor Ort bekommen sowie uneingeschränkte Akteneinsicht erhalten, um eine effektive Kontrolle sicherzustellen.
- Alle Sitzungen von PKGr sollen protokolliert werden müssen. Diese Protokolle unterliegen einer Geheimhaltungspflicht.
- Die G10-Kommission soll aufgelöst werden. Ihre Aufgaben übernimmt stattdessen ein ordentliches Gericht. Es wird eine Ombudsperson (“Bürgeranwalt”) eingerichtet, die an den Sitzungen beratend teilnimmt, in Zeiten der Unkenntnis der Maßnahme die Betroffenenrechte wahrnimmt und ein Auskunftsrecht besitzt.
- Im Geheimdienstbericht soll auch die Anzahl der genehmigten, sowie abgelehnten Überwachungsmaßnahmen bzw. Mitteilungen anonym veröffentlicht werden.
- Wir fordern eine regelmäßige Evaluation aller den Geheimdiensten zur Verfügung stehenden Methoden sowie der zugrundeliegenden Rechtsnormen auf ihre Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit, auch angesichts einer zu erstellenden Überwachungsgesamtrechnung.
- Alle als geheim eingestuften Akten sollen regelmäßig von einer unabhängigen Stelle auf die weitere Notwendigkeit dieser Anordnung geprüft und spätestens nach 30 Jahren ausnahmslos veröffentlicht werden, wobei die Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben müssen.
- Es soll der Posten eines Geheimdienstbeauftragten bzw. ständigen Sonderermittlers geschaffen werden, der sich hauptamtlich mit der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste befasst. Die Ausgestaltung dieses Amtes soll sich an dem des Wehrbeauftragten orientieren. Ihm sollen die Kapazitäten der Geschäftsstelle des PKGr zur Verfügung stehen.
- Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden sollen immer auch außerhalb des Dienstweges und anonym an den Geheimdienstbeauftragten und das PKGr wenden können, ohne um ihren Arbeitsplatz bangen zu müssen. Dazu soll insbesondere die Pflicht abgeschafft werden, ihren Dienstherren darüber zu unterrichten.
- Whistleblower, die ungesetzliches Verhalten von Behörden enthüllen, ohne dass dabei aber personenbezogene Daten und Geschäftsgeheimnisse an die Öffentlichkeit gelangen, müssen – ebenso wie Journalisten, die dies publik machen – besonders geschützt werden.
Auch für Geheimdienste gilt in einer Demokratie kein rechtsfreier Raum – Verstöße gegen herrschende Gesetze müssen konsequent verfolgt werden. Das gilt ebenfalls für ausländische Behörden, ob aus befreundeten oder anderen Staaten.
Organisation, Aufbau und Kompetenzen
Auch der Aufbau der Sicherheitsbehörden in Deutschland ist reformbedürftig: Um unnötige Doppelstrukturen aufzubrechen, sind die Landesämter für Verfassungsschutz sowie der Militärische Abschirmdienst in das Bundesamt für Verfassungsschutz zu integrieren. Bis zu einer Abschaffung der Landesämter müssen die einzelnen Verfassungsschutzbehörden in stärkerem Austausch stehen, um ein Versagen wie im NSU-Fall zu verhindern. Das BfV wird in seiner Koordinierungsfunktion gestärkt. Auch die zuständigen Kontrollinstanzen sollen künftig über gemeinsame Aktionen besser informiert werden. Außerdem soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nicht als weiterer Geheimdienst missbraucht werden, sondern weiterhin rein der Abwehr dienen. Die Kooperation von Geheimdiensten mit der Polizei ist kritisch zu betrachten. Zwar kann der Erkenntnisaustausch durchaus zweckdienlich sein, doch muss stets die Trennung von hoheitlicher Gewaltausübung beachtet werden. Gemeinsame Lage- und Gefahrenabwehrzentren sind aber grundsätzlich zu begrüßen.
Es braucht dringend eine klarere rechtliche Grundlage über die Zuständigkeiten, Befugnisse, Grenzen und Pflichten der Geheimdienste. Insbesondere die Kompetenzen bezüglich der Inlands- oder Auslandsaufklärung müssen konkretisiert werden, sowie eine Verfahrensordnung über die Mitteilung und den Rechtsschutz von Überwachten nach dem G10-Gesetz erlassen werden.
“Cyberwar”
Damit Deutschland auch in Zukunft seine Bürger und Unternehmen effektiv vor technischen Angriffen schützen kann, ist es erforderlich, dass die entsprechenden Behörden auf den neuesten Stand der Technik gebracht sowie finanziell und personell ausreichend ausgestattet werden. Alle sicherheitsrelevanten Regierungseinrichtungen sollten abhörsicher sein. Entwicklung und Forschung sind in dieser Hinsicht zu intensivieren, damit Europa langfristig unabhängig von ausländischen Nachrichtendiensten und fremder IT-Technologie wird.
Für uns gilt: Auch “Cyberwar” ist eine Art der Kriegsführung und muss daher den Regeln des internationalen Kriegsvölkerrechts unterliegen. Wo dieses bisher nichtanwendbar ist, muss dringend völkerrechtliche Klarheit geschaffen und entsprechende Regelungen gefunden werden. Einen präventiven oder gar initialen Angriff durch digitale Waffen lehnen wir ab. Der Einsatz dieser Waffen durch die Bundeswehr unterliegt damit im Sinne ihrer Eigenschaft als Parlamentsarmee den gleichen strengen Voraussetzungen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und des Artikel 87a GG. Einen Gegenschlag als Reaktion auf einen digitalen Angriff kann erfolgen, wenn dieser eindeutig zurechenbar ist.
Einrichtungen, die sich unter dem Schutz der Genfer Konvention befinden (z.B. zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser), sollen auch im digitalen Raum besonderen Schutz genießen. Langfristig fordern wir eine neue internationale Friedenskonferenz , die sich mit der digitalen Kriegsführung beschäftigt und auch dort verbindliche Richtlinien festlegen soll.
Wir befürworten die Meldepflicht für systemrelevante Unternehmen und Behörden bei schweren IT-Attacken, um künftige Angriffe zu verhindern. Wer von Sicherheitslücken in Soft- oder Hardware Kenntnis erlangt, muss diese sofort dem BSI melden, welches unmittelbar auf die Schließung und Veröffentlichung dieser hinarbeitet. Eine Beteiligung an oder Finanzierung der digitalen Grau- und Schwarzmärkte (z.B. durch den Einkauf von “Zero Day Exploits”) gehört verboten.
Internationale Kooperation
Zur effektiven Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus sowie der Abwehr von äußeren Gefahren, ist es notwendig, auch mit ausländischen Diensten, bspw. im Rahmen der NATO oder EU, zu kooperieren. Dies ist jedoch nur dann zu begrüßen, wenn es auch den Sicherheitsinteressen Deutschlands und seiner Bündnispartner nutzt. Diese sollen im neuen Weißbuch der Bundeswehr konkretisiert werden und dort als Leitbild vor allem der Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundprinzipien dienen. Die Zusammenarbeit mit Staaten, bei denen der Verdacht besteht, dass sie (aktiv oder passiv) Völkerrecht brechen oder in Europa gegen geltendes Recht verstoßen, lehnen wir aber grundsätzlich ab. Wirtschaftsspionage und vor allem die Beihilfe deutscher Behörden an der Überwachung von Inländern im Auftrag von ausländischen Diensten sind strikt abzulehnen und strafrechtlich zu verfolgen.
Die JuLis Bayern fordern des weiteren, eine internationale Charta für Persönlichkeitsrechte auszuhandeln, die völkerrechtlich einheitliche Standards im Umgang mit persönlichen Daten und Bürgerrechten wie der Informationsfreiheit festlegen soll. So soll insbesondere auch die indirekte Überwachung von eigenen Bürgern (z.B. über Drittstaaten) oder das unbeschränkte Aushorchen von Ausländern weltweit verhindert werden. Denn das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist für uns ein Menschenrecht, das für jeden gleichermaßen gilt.
Vor allem auf europäischer Ebene darf es keine gegenseitige Spionage mehr geben. Stattdessen sollen die Geheimdienste in engerem Austausch stehen und das Amt des EU-Geheimdienstkoordinators gestärkt werden. Gleichzeitig muss die EU-weite Kontrolle der Geheimdienste, insbesondere durch das Europäische Parlament, intensiviert werden und ein besserer Austausch zwischen den einzelnen, staatlichen Kontrollinstanzen stattfinden. Zur besseren Bekämpfung von digitaler Kriminalität soll die entsprechende Abteilung bei Europol personell und technisch verstärkt und die Zusammenarbeit ausgebaut werden.
Öffentlichkeitsarbeit
Abschließend fordern wir einen ehrlicheren Dialog mit den Bürgern. Auch muss die Geschichte des BND besser aufgearbeitet werden. Statt Panikmache und neuen Überwachungsgesetzen sollte die Politik versuchen, die Öffentlichkeit aufzuklären und sie für entsprechende Themen zu sensibilisieren. Die Menschen sollten lernen, sich selbst (v.a. im Digitalen) besser zu schützen. Dazu sind Ausbildungs- und Aufklärungsangebote zu intensivieren. Zudem muss ehrlich vermittelt werden, dass Terror stets möglich sein wird und ein Anschlag nie hundertprozentig ausgeschlossen werden kann. So können Panik, Kurzschlussreaktionen und populistische Forderungen im Ernstfall verhindert werden. Denn genau das ist letztendlich das Ziel jedes Terroristen.
Gültigkeit: 10 Jahre
Antragsteller: Landesvorstand