Während in städtisch geprägten Gebieten die Einwohner flächenmäßig eher zentriert sind, findet in ländlichen Regionen eine Verteilung der Einwohner über den ganzen ländlichen Raum statt. Damit gehen längere Anfahrtswege und -zeiten einher, die die Patienten zwangsläufig akzeptieren müssen, um einen Termin bei einem allgemeinen Facharzt wahrnehmen zu können. Diese Herausforderung ist bei der Zulassung neuer allgemeiner Fachärzte auf dem Land notwendigerweise zu berücksichtigen.
Zudem ist durch die ungleiche Verteilung der Einwohner auf den jeweils verfügbaren ländlichen Raum (niedrige Bevölkerungsdichte) und der statistisch höheren Altersdurchschnitt der dort lebenden Menschen zusätzlich zu beachten, dass der ÖPNV in ländlichen Regionen deutlich schlechter ausgebaut ist als in städtischen Gebieten. Damit hat der Großteil der ländlichen Bevölkerung, der neben dem Individualverkehr durch den Pkw auf den ÖPNV angewiesen ist, deutliche Schwierigkeiten, die entsprechenden Arztpraxen im Rahmen eines angemessenen zeitlichen und finanziellen Aufwands zu erreichen. Hinzu kommt die Herausforderung, dass durch die größere Anzahl an älteren Menschen und der innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe auftretenden Multimorbidität eine erhöhte Krankheitslast auftritt. Eine Anfahrtszeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die mehr als eine Stunde beträgt, ist nach unserer Einschätzung insbesondere aufgrund des hohen Anteils der Bevölkerung mit hohem Lebensalter nicht tragbar. Auch aus diesem Grund ist es unerlässlich – unabhängig von der Anzahl der vorhandenen Fachärzte – quantitativ mehr Praxen in den ländlichen Gebieten zuzulassen.
Insgesamt sind die Gründe für einen unattraktiven Arbeitsplatz als Arzt in ländlich geprägten Regionen sowohl durch administrative als auch strukturelle Hürden und Versäumnisse zu erklären. Einerseits aufgrund der desolaten und nicht vorhandenen, jedoch notwendigen Infrastruktur und anderseits aufgrund einer höheren Zahl an zu betreuenden Patienten auf dem Land sowie weiteren Herausforderungen ist es unattraktiver, auf dem Land die Tätigkeit des Arztes auszuführen, als in Städten. Daher ist es essenziell, an verschiedenen Parametern anzusetzen, um die gesamte Situation sowohl kurz-, als auch langfristig zu stabilisieren.
Das „Landarztprogramm“ als Grundlage
Darüber hinaus fordern wir ein perspektivisch umzusetzendes „Landarztprogramm“ für Abiturienten. Im Rahmen dieses Programms soll es Abiturienten ermöglicht werden, einen schnelleren Einstieg in das Medizinstudium zu finden, indem ihnen ein Medizinstudienplatz angeboten wird.
Das Landarztprogramm soll eine Dauer von einem Jahr gelten und folgende Eigenschaften enthalten:
- Über medizinische Ausbildungszentren, welche in ländlichen Regionen zu finden sein sollen, werden grundsätzliche Inhalte des Humanmedizinstudiums sowie die wichtigsten und grundlegendsten Inhalte der naturwissenschaftlichen Disziplinen, die auch im Rahmen des Studiums relevant werden, vermittelt bzw. gefestigt. Auf diese Weise erhalten Abiturienten bereits vor dem Medizinstudium einen Einblick in thematische Schwerpunkte.
- Als Aufnahmekriterium darf nicht nur das Abitur infrage kommen, sondern weitere hervorzuhebende, extracurriculare Leistungen, beispielsweise ein soziales Engagement oder der Test für medizinische Studiengänge, der für einige Studenten sowieso eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, das Profil für die Aufnahme eines Studienplatzes zu verbessern.
- Neben der theoretischen Einführung in die medizinische Theorie sollen die Abiturienten in Arztpraxen bzw. medizinischen Versorgungszentren (MVZ) im ländlichen Raum praktische Erfahrung im täglichen Arbeitsleben erhalten. Auf diese Weise können ambitionierte Abiturienten bereits vor dem Studium wertvolle Kenntnisse über den Arbeitsalltag und theoretische Elemente sammeln. Arztpraxen, welche sich an diesem Programm beteiligen möchten, um mittel- bis langfristig ggf. Nachwuchspotenzial zu entfalten, sollen jährlich durch einen adäquaten „Entschädigungsaufwand“ vergütet werden, der anteilig durch das jeweilige Bundesland sowie den Bund gezahlt wird.
- Nach erfolgreichem Abschluss des Jahres soll es den Abiturienten möglich sein, einen Humanmedizinstudienplatz innerhalb von Deutschland schneller zu erhalten, indem das Vergabeverfahren für die Medizinstudiengänge angepasst wird. Dieses besteht in der Regel aus drei prozentualen Anteilen, die nun etwas modifiziert werden sollen. Es ist zu beachten, dass die Anzahl der verfügbaren Plätze eines Jahrgangs innerhalb der medizinischen Ausbildungszentren begrenzt werden soll, da all den Teilnehmenden nach dem Jahr des Absolvierens ein Studienplatz zuzusichern ist. Schließlich soll der prozentuale Anteil derjenigen, die für einen Jahrgang zuzulassen sind, einen niedrigen einstelligen Wert betragen, etwa zwischen 3 und 5 Prozent der verfügbaren Studienplätze für Humanmedizin.
- Im Zuge des Landarztprogramms verpflichten sich nun die Absolventen, für die nachfolgenden fünf Jahre nach der fachärztlichen Weiterbildung in der Allgemeinmedizin in solchen Gebieten, die unterversorgt sind, zu arbeiten. Auf Grundlage der einjährigen Erfahrung vor dem Studium ist es möglich, Einblicke in das tägliche Arbeitsgeschäft zu sammeln, um sich eine Einschätzung darüber bilden zu können.
- Insgesamt ist der relative Anteil der Abiturbestenquote um den des Landarztprogramms zu verringern, da nicht nur lediglich die Abiturnote als relevantes Entscheidungskriterium herangezogen werden soll und es sich hierbei um ein effektives Instrument zum Attraktiver werden des Ärzteberufs in ländlichen Regionen handelt. Da sich die jährliche Zahl der verfügbaren Studienplätze quantitativ verändert, wird durch den prozentualen Wert ebenso die Zahl der verfügbaren Plätze an den medizinischen Ausbildungszentren proportional angepasst.
- Als Lehrende für die angewandten Komponenten wie Physiologie oder Anatomie können erfahrene Landärzte eingesetzt werden, die bereits in Rente gegangen sind. Sie können nicht nur wertvolle Informationen aus der Praxis, sondern auch Hinweise aus dem Alltag eines Arztes auf dem Land mitteilen. Für die naturwissenschaftlichen Elemente soll es Studierenden aus höheren Semestern ermöglicht werden, im Rahmen der lehrenden Tätigkeit neben dem Studium Geld zu verdienen. Darüber hinaus können die Abiturienten auch hier Fragen an bereits erfahrene Studierende der Humanmedizin stellen und so Informationen über das bevorstehende Studium erfahren.
Dieses Programm soll die Landarztquote ersetzen.
Mehr Attraktivität für das Land
Weiterhin fordern die Jungen Liberalen Bayern administrativ umzusetzende Maßnahmen, um indirekte Anreize für Ärzte zu setzen, die sich infolgedessen dazu entscheiden, ihren Beruf in ländlichen Gebieten nachzugehen.
Dies bedeutet konkret:
- Eine weiterführende qualitative Anpassung der Bedarfsplanung, insbesondere für die Versorgungsebene der allgemeinen Fachärzte, die neben der quantitativen Ermittlung der Anzahl der allgemeinen Fachärzte durch die verfügbaren Verhältniszahlen im speziellen für ländlich geprägte Regionen auch das Problem einer zu geringen Dichte der verfügbaren Arztpraxen berücksichtigt. Zur Festlegung der idealen Zahl an Praxen bedarf es einiger zusätzlicher Indikatoren, welche heranzuziehen sind. Hier sind exemplarisch zu nennen: die Erreichbarkeit durch öffentliche Verkehrsangebote, die Bevölkerungsdichte des jeweiligen ländlichen Gebietes oder auch die Anzahl älterer Menschen innerhalb des jeweiligen ländlichen Raums. Als sinnvolle Maßnahme zur Ermittlung hierfür bietet es sich beispielsweise an, ländliche Regionen in kleinere Gebiete zu unterteilen und die relevanten Daten über diese jeweils zu sammeln. Anhand dessen ist zu ermitteln, wie viele Praxen im Ideal fort anzusiedeln sind. Verschiedene Szenarien, die sich in der Zahl der behandelnden Ärzte pro Arztpraxis unterscheiden, sollten berücksichtigt werden.
- Eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Ärzten auf dem Land und Krankenhäusern. Hierbei müssen Rahmenbedingungen gelten, die die Unterstützung für solche sektorenübergreifenden Zentren (ambulant sowie stationär) bekunden. Aktuell gehen verschiedene Vertragsmodelle aus dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) hervor, jedoch besteht weiterhin großes Potenzial. Es sollte dahingehend insbesondere in Bezug auf Praxen im bzw. in unmittelbarer Nähe zum Krankenhaus geprüft werden, inwiefern weitere rechtliche Vereinfachungen bzw. Spezifizierungen umgesetzt werden können, da dieses Modell nicht nur für die dort arbeitenden Ärzte, sondern auch für die Patienten und das Krankenhaus weitreichende Vorteile bietet (etwa in Bezug auf Kostenersparnis durch die Nutzung der gemeinsamen Struktur).
- Flexiblere Ausgestaltungsmöglichkeiten der konsiliarärztlichen Arbeitstätigkeiten an Krankenhäusern. Konsiliarärzte können vor allem dann sehr sinnvoll sein, wenn ein Krankenhaus eine bestimmte medizinische Fachrichtung nicht abdecken kann. Jedoch bestehen insbesondere in diesem Vertragsmodell beispielsweise in Bezug auf das wöchentliche Arbeitszeitkontingent gesetzliche Regelung, die das Überschreiten von 13 Stunden Arbeitszeit pro Woche verbietet.
- Keine erneute Prüfung der kassenärztlichen Zulassung für eine Praxis nach Übernahme dieser durch einen neuen Arzt in ländlichen Regionen. Die dadurch erfolgende Schließung der Arztpraxis für gesetzlich-versicherte Patienten ist aus mehreren Gründen nicht nur für Letztere, sondern auch die Angestellten selbst ein großer Nachteil.
- Flexible und unkomplizierte Alternativen zu schaffen, die auf einer Kooperation mit Krankenhäusern basieren und eine kurzfristige, ungeplante Schließung der Arztpraxis ausgleichen. Eine Schließung – außer im Falle von Unfällen oder Krankheitsfällen – darf nicht dazu führen, dass die Arbeitstätigkeit allgemeiner Fachärzte pausiert bleibt. Stattdessen setzen wir uns für flexible Arbeitsmodelle für betroffene Ärzte ein, die für die kurze, zu überbrückende Zeit provisorisch an Krankenhäusern oder in medizinischen Versorgungszentren arbeiten können sollen – unbürokratisch und ohne aufwendigen Arbeitsvertrag.
Darüber hinaus gilt es, die Versorgung langfristig sicherzustellen. Dies geht jedoch nur dann, wenn wir strukturell bessere Rahmenbedingungen herstellen. Daher fordern wir:
- Eine möglichst rasch fortschreitende Entwicklung in Bezug auf eine digitale Strategie für Ärzte auf dem Land (Telemedizin). Da jedoch insbesondere ältere Bürger häufig Schwierigkeiten in dem Umgang mit digitalen Endgeräten und Applikationen aufweisen, ist es notwendig, die Bedienung sowie die User Interface (UI) möglichst intuitiv zu gestalten. Für die Telemedizin ist es in der Folge ebenso notwendig, den Zugang für angehörige Dritte rechtskräftig zu gewährleisten, sodass es Angehörigen der Senioren ermöglicht wird, sie – ggf. auch aus der Ferne – in der digitalen Bedienung zu unterstützen.
- Ebenso in Bezug auf die Telemedizin die Einrichtung von zunächst einer Telemedizin-Praxis in einer ländlichen Region, die eine ärztliche Behandlung ohne die physische Anwesenheit eines Arztes ermöglicht. Bezüglich der Finanzierung gilt es, zu prüfen, inwiefern auf Bundesmittel durch Förderprogramme zurückgegriffen werden kann. Ein Beispiel hierfür könnte das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) darstellen, über welches die „TeleMedicon“-Praxis in Spiegelberg (Heilbronn) realisiert werden konnte. Perspektivisch müssen sich Politik und Gesellschaft für solche neuartige Formen der medizinischen Behandlung auf dem Land öffnen, sodass bei erfolgreicher Annahme dieses Angebots weitere Praxen in ländlich geprägten Regionen zu schaffen sind. Es gilt, den Betrieb wissenschaftlich zu begleiten und im Rahmen einer Studie zu evaluieren.
- Verbindungen zwischen Landärzten und Medizinstudenten an Universitäten schon frühzeitig herzustellen, um die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Praxisübernahme zu steigern. Schließlich ist eine Herausforderung ebenso, eine passende Nachfolge für eine Arztpraxis auf dem Land zu finden. Das kann gelingen, indem universitätsübergreifend Angebote und Programme geschaffen werden, die über die Vorteile eines allgemeinen Facharztes auf dem Land aufklären. Auch freiwillige Informationsveranstaltungen sowie Seminare sollen in Kollaborationen der Universitäten mit ländlich arbeitenden Arztpraxen angeboten werden. Auf diese Weise kann die Arbeit als Arzt auf dem Land unmittelbar an diejenigen adressiert werden, die sich in der Ausbildung dazu befinden.
- Den raschen und umfangreichen Abbau von Bürokratie. Im Fokus sollen zunächst bürokratische Hürden abgebaut werden, die während der Gründung einer eigenen Arztpraxis sowie im Zuge der Nachbesetzung solcher relevant werden. Auch das trägt dazu bei, dass es zunehmend unattraktiver wird, eine eigene Praxis im Rahmen der Selbstständigkeit zu gründen oder zu übernehmen. Insgesamt müssen Ärzte 353 Informationspflichten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, des GKV-Spitzenverbands und des Gemeinsamen Bundesausschusses erfüllen. Dadurch entstehen jährlich Kosten i. H. v. 2,3 Milliarden Euro. Hierbei befürworten wir die Einrichtung eines Formularlabors nach dem Vorbild der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, um Vertreter von Ärzten, Krankenkassen und Medizinischem Dienst zusammenzubringen. Durch den Austausch der jeweiligen Perspektiven kann ermittelt werden, an welchen Variablen es Bürokratie effektiv abzubauen gilt.
Antragsteller: JuLis Unterfranken, Dominic Jackman, Miriam Marschall, Dominic Hartlieb
Gültigkeit: 5 Jahre