Präambel
Das deutsche Pflegesystem steht nicht am Abgrund; es ist schon einen Schritt weiter. Im Dezember 2017 waren in Deutschland 3,41 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung wird die Anzahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren drastisch ansteigen. Schon jetzt ist die Zahl der in der Pflege arbeitenden Menschen rückläufig. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden bis 2030 laut Prognose des Deutschen Pflegerats etwa 300.000 Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Ohne die zahlreichen Angehörigen, welche oft selbst die Pflege übernehmen, wäre das deutsche Pflegesystem bereits heute kollabiert.
Verstärkt wird dieses Problem durch die Überalterung unserer Gesellschaft: Nicht nur gibt es immer mehr Pflegebedürftige, es gibt auch immer weniger Menschen, die die Pflege leisten und finanzieren können. Hinzu kommen gesellschaftliche Entwicklungen wie die Urbanisierung, der Trend weg von der Mehrgenerationenfamilie, was dazu führt, dass immer häufiger keine Angehörigen vor Ort sind, die die Pflege leisten können.
Um diese Entwicklung aufzuhalten und die Herausforderungen, die hier auf uns als Gesellschaft zukommen, zu bewältigen, muss schnell gehandelt werden: Der Pflegeberuf muss attraktiver werden, durch Digitalisierung und Entbürokratisierung mehr Zeit für die Arbeit am Menschen gewonnen werden, die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen erhöht, die pflegenden Angehörigen unterstützt und eine nachhaltige Finanzierung geschaffen werden.
Fachkräfte suchen, finden, halten, bilden
Um den Personalmangel in der Pflege zu beheben gibt es mehrere Ansatzpunkte: Mehr Menschen, die eine Ausbildung zur Pflegekraft abschließen, Berufsaussteiger, die in den Pflegeberuf zurückkehren, Pflegekräfte in Teilzeit, die in Vollzeit wechseln, und Pflegekräfte aus dem Ausland. Gleichzeitig müssen wir die Pflegekräfte, die wir haben, im Beruf halten. Um dies zu erreichen, muss der Pflegeberuf attraktiver gestaltet werden.
Hierfür fordern die Jungen Liberalen:
- die finanzielle Förderung von Umschulungen zum Pflegeberuf.
- das Hinwirken der Politik im Rahmen der Pflegesatzverhandlungen darauf, dass die Kostenträger ein adäquates Entgelt für Fachkräfte refinanzieren.
- die Aufwertung des Pflegeberufes durch die finanzielle Förderung von Fortbildungen, die Schaffung von weiteren Qualifizierungen, die die Übernahme weiterer Aufgaben erlauben, sowie die Schaffung von Möglichkeiten der Akademisierung.
- die Erhöhung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch die Förderung von Kinderbetreuung, die auf die Arbeitszeiten von Pflegekräften eingehen.
- die gezielte Werbung von ausländischen Pflegekräften aus Ländern, in denen hierdurch kein Defizit an Pflegekräften entsteht.
- die Beschleunigung des Anerkennungsprozesses für ausländische Abschluss, z.B. durch die Zentralisierung beim Landesamt für Pflege. Hierbei ist auf ein adäquates Sprachlevel zu achten, insbesondere in der für den Arbeitsalltag benötigten Sprache.
Um eine adäquate Interessensvertretung für die Pflegefachkräfte zu gewährleisten, sprechen sich die Jungen Liberalen dafür aus, eine Bundespflegekammer und Landespflegekammern ohne Kammerzwang einzuführen.
Digitalisierung und Entbürokratisierung
Um die Pflege endlich fit für die Herausforderungen der Zukunft zu machen, ist für uns Junge Liberale klar, dass Arbeitsprozesse endlich digitalisiert und optimiert werden müssen. Unnötige Bürokratie und endloser Papierkrieg müssen der Vergangenheit angehören.
Um den Einrichtungen bei der Umsetzung der Digitalisierung unter die Arme zu greifen, fordern wir die Einrichtung einer verbundenen Kompetenz- und Koordinierungsstelle für Digitalisierung in der Pflege. Diese ist bei einem neu zu schaffenden Digitalministerium anzusiedeln. Hauptaufgabe dieser Stelle soll die Beratung bei Implementierung neuer Arbeitsprozesse, Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen und Unterstützung beim Change- Management sein. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass persönliche Beratungsmöglichkeiten für das Personal zur Verfügung stehen, welches dabei hilft, Widerstände und Ängste vor den Neuerungen zu überwinden. Die Kosten für solche Investitionen zur Digitalisierung sind durch die Kostenträger zu übernehmen und durch Steuermittel zu fördern.
Auch der Papierkrieg in deutschen Pflegeheimen muss endlich enden, um den Pflegerinnen und Pflegern wieder mehr Zeit für ihre Hauptaufgabe zu geben: Die Sorge für pflegebedürftige Menschen. Deshalb fordern wir, neben der konsequenten Umstellung auf digitale Dokumentationsmethoden, unnötige Dokumentationspflichten abzubauen und dabei einheitliche, flächendeckende Standards zu implementieren. Diese haben auch Einzug in die Ausbildung zu halten.
Pflegekräfte sollen sich zukünftig auf die Kernaufgabe der Pfege fokusieren können. Pflege beschäftigt sich mit dem Menschen. Daher müssen sich auch die Tätigkeiten auf den Menschen selbst primär beziehen. Dies soll durch Assistenzsysteme unterstützt werden, sodass sich Pfleger auf menschliche Pflege und nicht eine rein körperliche Unterstützung konzentrieren können.
Um auch Menschen, die Zuhause gepflegt werden, eine merkliche Unterstützung zu leisten, fordern wir, die Förderung für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen gemäß § 40 SGB XI auf 10.000€ aufzustocken. Ausgestaltet werden soll dies zunächst als unbürokratischer und zinsloser Kredit. Nachträglich bekommen die Betroffenen die Möglichkeit, per Nachweis ihrer Bedürftigkeit den Kredit in einen Zuschuss umzuwandeln. Bei bestehender finanzieller Leistungsfähigkeit ist die Rückzahlung gestaffelt und flexibel einzurichten. Bei der Bemessung des Vermögens zur Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit ist das umzubauende Wohnobjekt, sofern es dem Betroffenen gehört, nicht zu berücksichtigen.
Die aktuelle Fachkräftequote in Pflegeheimen ist nicht evidenzbasiert und stellt die Einrichtungen vor große Herausforderungen. Deshalb fordern wir ihre Reform. Ersetzt werden soll sie durch ein Scoring-System, bei dem examinierten Fachkräften und Pflegehilfskräften eine bestimmte Punktzahl zugewiesen wird. Diese Punktzahl können die Pflegekräfte durch Fortbildungen und Lehrgänge erhöhen. Pro belegtem Platz ist folglich ein bestimmter Wert zu erreichen. Wie dies geschafft wird, liegt in der unternehmerischen Freiheit der Einrichtung. Bei der Ausarbeitung des Scoring-Systems ist auf einen evidenzbasierten Qualitätsindikator zu achten.
Die Überprüfungen, denen Pflegeeinrichtungen unterzogen werden, sollen in Zukunft durch eine unabhängige und aus Steuermitteln finanzierte Behörde erfolgen. Der MDK sowie die FQA sollen ihre bisherigen Kompetenzen in diesem Bereich vollständig an die neu zu schaffende Behörde abtreten. Für die Kontrollen ist den Einrichtungen ein Zeitraum von mehreren Wochen zu nennen. Innerhalb dieses Zeitraumes können durch die Einrichtung Sperrtage bzw. -wochen bestimmt werden. Ziel des neuen Systems ist Planbarkeit für die Einrichtungen, gleichzeitig soll verhindert werden, dass Einrichtungen Missstände nur für den Zeitraum einer angekündigten Kontrolle verbergen.
Selbstbestimmung und Innovation
Selbstbestimmung in allen Lebenslagen ist für uns Junge Liberale das Maß, an dem wir eine gute Versorgung messen, auch und gerade in der Pflege. Das aktuelle Pflegesystem lässt durch überbordende Bürokratie und starre Vorschriften nur wenig Platz für Markt und Entscheidungsfreiheit, sowohl auf Anbieter- als auch auf Nachfragerseite. Deshalb fordern wir die Einführung eines sogenannten Pflegebudgets. Dieses soll sich in der Höhe an den Leistungen der
stationären Pflege orientieren, und nicht wie jetzt nach der Versorgungsform, sondern nach dem jeweiligen Pflegegrad ausbezahlt werden. Die Qualitätssicherung soll durch ein Case-Management, sowie einen “Pflege-TÜV” gewährleistet werden, die dem Pflegebedürftigen durch Beratung, nicht durch Bevormundung, eine freie Wahl der Versorgung lassen. Dieser Paradigmenwechsel in der Pflege erlaubt es innovativen Anbietern neue Wege zu erproben, sowie den Pflegebedürftigen eine echte Entlohnung familiärer und nachbarschaftlicher Pflege zu ermöglichen. Auch stehen die Jungen Liberalen für eine Auszahlung von Leistungen der Pflegeversicherung im Ausland, da die Menschen selbst entscheiden sollen, wo Sie ihren Lebensabend verbringen möchten.
Die Pflege von Menschen ist eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Dabei haben auch die Kommunen ihren Teil dazu beizutragen, die soziale Infrastruktur für Pflegebedürftige zu verbessern. Hierbei setzen wir Jungen Liberalen auf die Kraft der Bürgerschaft und auf das Prinzip der Bürgerkommune. Diese Partnerschaft zwischen engagierter Zivilgesellschaft, Verwaltung und professionellen Anbietern verfolgt folgende Ziele und entspricht unserem Verständnis eines aktivierenden Sozialstaats:
- Stärkung und Aktivierung der Bürgerschaft und zivilen Wohlfahrt
- Förderung der individuellen Verantwortung der Bürger
- Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürger am politischen und administrativen Geschehen
- Implementierung einer effizienten Verwaltungsstruktur
Mithilfe von Quartiermanagement sollen die Kommunen die Bedürfnisse von Menschen mit Pflegebedarf vor Ort analysieren und gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern Angebote schaffen. Der Aufbau einer nachhaltigen und tragenden sozialen Infrastruktur sowie einer lebendigen Nachbarschaft ist im Sinne einer liberalen und kommunalen Gesundheits- und Pflegepolitik.
Darunter fallen insbesondere:
- Anpassung der kommunalen Infrastruktur auf die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen und das Schaffen bedarfsgerechten Wohnraums (Barrierefreiheit)
- Schaffung einer tragenden sozialen Infrastruktur mit bedarfsgerechten Dienstleistungen und Angebote für Menschen mit Pflegebedarf, sowie den Aufbau eines Netzwerks aller beteiligten Organisationen im Quartier (Leistungserbringer, Bürgerschaft, Wirtschaft, Verwaltung)
- Unterstützung und Koordinierung von ehrenamtlichen Initiativen wie Zeit-Tausch-Ringen, Selbsthilfegruppen oder Nachbarschaftsvereinen
- Beratung von pflegenden Angehörigen durch Fachstellen für pflegende Angehörige oder Pflegestützpunkte (Case-Management) auf kommunaler Ebene.
- Beratungsangebote für alternative Wohnformen und barrierearmen Umbau.
Die Kommunen sollen im Rahmen von Seniorenpolitischen Gesamtkonzepten den Bedarf eruieren und dementsprechend ausbauen.
Wir fordern für die Implementierung eines Quartiermanagements eine bessere und unbürokratischere Förderung seitens des Bundes und des Freistaats. Hierbei ist sowohl in sozialräumliche Infrastruktur wie Begegnungsräume zu investieren, wie auch in die personelle Ressource einer Quartiermanagerin/ eines Quartiermanagers.
Besonderes Augenmerk beim Ausbau von professionellen Dienstleistungen ist dabei auf die Kurzzeit- und Verhinderungspflege zu legen. Gemeinsam mit einem Sorgentelefon für Pflegende Angehörige bietet dieses eine wichtige Unterstützung für die ambulante Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf.
Nachhaltige Finanzierung
Die Finanzierung der Pflege wird eine der größten Belastungsproben unserer Generation. Es ist darauf zu achten, die Lasten der pflegerischen Versorgung fair auf die Schultern aller Generationen zu verteilen. Deshalb lehnen wir eine Deckelung des Eigenanteils bei der Pflege und damit eine Vollkaskoversicherung kategorisch ab. Da die Pflege eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist, muss über die Bezuschussung der Pflegeversicherung durch Steuergelder diskutiert werden. Private und betriebliche Vorsorgesysteme sind staatlich zu fördern, damit das Risiko, bei Pflegebedürftigkeit arm zu werden, möglichst gering gehalten werden kann. Generell ist eine Reform der Pflegeversicherung anzudenken. Dabei plädieren die Jungen Liberalen für eine Zusammenlegung der gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung, um wettbewerbliche Elemente zu stärken und unnötige Doppelstrukturen abzuschaffen, sowie Synergien zu heben.Symbolpolitik, wie das Bayerische Landespflegegeld, die wenig bis gar keinen Nutzen für die Versorgung Pflegebedürftiger hat, lehnen wir ab.
Gültigkeit: 5 Jahre
Antragssteller: BV Schwaben, LAK Gesundheit