Helfen – egal wo, egal wem, egal wann. Das ist die Berufung tausender Pflegern, Ärztinnen, Sanitätern und Disponentinnen, die im Gesundheitswesen arbeiten und die medizinische Grundversorgung aufrechterhalten. Wir JuLis Bayern stellen fest: Unser medizinisches System hat in der aktuellen Form keine Zukunft. Neben immensen Fachkräftemangel und fehlender Digitalisierung wurden wichtige Reformen in den letzten Jahren verfehlt. Das zeigt sich schmerzlich in der Notfallversorgung, wenn bei Spitzenauslastung Rettungswägen nicht verfügbar oder Krankenhäuser voll belegt sind. Damit droht ein Grundpfeiler unserer funktionierenden Gesellschaft – nämlich die Notfallrettung und akute Weiterbehandlung in Krankenhäusern –
zusammenzubrechen. Neben unseren Forderungen zur Reform der Krankenhäuser und Gesundheitsversorgung möchten wir Junge
Liberale hiermit auch der Notfallversorgung in Deutschland eine Zukunft geben.
Reform der integrierten Leitstellen
Wer die 112 ruft, kann auf den Rettungsdienst, die Feuerwehr und Spezialkräfte zugreifen. Die Rettungsleitstellen und integrierten Leitstellen koordinieren Einsätze in hervorragender Weise. Allerdings werden sie immer mehr mit allgemeinen gesundheitlichen und pflegerischen Problemen kontaktiert. Die Leitstellen sind mit Disponenten, meistens aus der Berufsfeuerwehr, besetzt – in der Praxis werden dann Rettungswägen geschickt, um sich das Problem “mal anzuschauen”. Wir fordern:
– eine Reform der integrierten Leitstellen zu echten Gesundheitsleitstellen. Dazu möchten wir uns am Vorbild der Leitstelle Tirol orientieren, die unter verschiedenen Abteilungen auch Gesundheitsberatung anbietet. Die klassische Aufgabe der Leitstelle – nämlich Rettungs- und Feuerwehreinsätze – dürfen trotzdem keinesfalls zu kurz kommen. Trotzdem soll bei medizinischen Notfällen eine strukturierte Triage am Telefon zum Standard werden.
– Die Zusammenlegung des Notrufes 112, der Rufnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (116117), des Giftnotrufs und der Gesundheitsberatung in einer Leitstelle. Getrennte Rufnummern führen dann zu verschiedenen Abteilungen.
– Die Gewährleistung einer kostenlosen Gesundheits- und Pflegeberatung rund um die Uhr, ähnlich einem Callcenter durch medizinisch und pflegerisch qualifiziertes Personal.
– Ein taktisches Weisungsrecht der Gesundheitsleitstelle gegenüber anderen nicht- ärztlichen
Leistungsbringern.
– einen Telenotarzt direkt in jeder Leitstelle. Dieser soll laufende Rettungseinsätze mit koordinieren und den Disponenten medizinischen Background in Echtzeit liefern.
– den flächendeckenden Ausbau des Telenotarztsystems.
– eine vermehrte Identifikation und Adressierung von PatientInnen ohne zeitkritischen Interventionsbedarf mit ergänzenden Systemkomponenten. Auf die Einhaltung des Datenschutzes ist zu achten.
– die proaktive Kontaktaufnahme mit Risikogruppen und z. B. sogenannten „frequent callers“, die aufgrund ihrer persönlichen Situation oftmals einhergehend mit chronischen Erkrankungen, einem hohen Leidensdruck und begleitet von Angststörungen und Depression präventive Angebote benötigen.
– Die Umsetzung eines interoperablen Datenaustausches in Echtzeit zwischen der Gesundheitsleitstelle, dem Rettungsdienst, den Kliniken, dem ambulanten Sektor und Apotheken.
– Die flächendeckende Einführung und Verfügbarkeit von Notruf-SMS und der Notruf- App nora, um eine barrierefreie Alarmierung für jeden zu ermöglichen.
– Die flächendeckende Einführung von Ersthelfer Apps (z.B. Mobile Retter).
Echte Entlastung der Notaufnahmen und Krankenhäuser
Was durch die Versorgung und den Transport von Patienten mit eingerissenen Fingernägeln oder Ähnlichem durch die Rettungsdienste beginnt, setzt sich personal- und kostenintensiv in den Notaufnahmen bzw. Fachambulanzen der Krankenhäuser fort. Wir fordern:
– Ein Triage-Zentrum in jeder Notaufnahme, das vorentscheidet, ob Patienten überhaupt in der Notaufnahme behandelt werden. Die Weiterverweisung an Hausärztinnen, Bereitschaftspraxen oder eine Fachambulanz soll bei fehlender medizinischer Indikation jederzeit möglich sein.
– Die Verbesserung der ambulanten Versorgung zu Hause. Geringfügige Eingriffe wie z.B. Katheterwechsel sollen grundsätzlich immer von Pflegekräften zuhause bzw. im Altenheim übernommen werden, bevor ein Krankenhaus aufgesucht wird.
– Rechtssicherheit für Rettungskräfte auch bei ambulanten Hilfeleistungen.
– Die Möglichkeit für Hilfsorganisationen, Hilfeleistungen im Rettungsdienst ohne Transport ins Krankenhaus angemessen über die Krankenkassen abrechnen zu können. Wir fordern deshalb, den Rettungsdienst als eigenständiges medizinisches Leistungssegment ins Sozialgesetzbuch V aufzunehmen.
– Schluss mit dem Nebeneinander von Vergütungsmodellen – es muss endlich klare Zuständigkeiten für
die Finanzierung der Notfallrettung, der Krankentransporte, der Leitstellen etc. geben.
– Wir fordern die Etablierung des Notfalltransports als Transportleistung, die getrennt von der Versorgung zu betrachten ist. Ein Transport muss dabei nicht nur in ein Krankenhaus, sondern in die für den individuellen Notfall am besten geeignete Gesundheitseinrichtung möglich sein, zum Beispiel auch in die Hausarztpraxis, Fachambulanz oder eine ÄBD-Notdienstpraxis.
– Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass das Berufsbild des Physician Assistants (PA) verstärkt in deutschen Krankenhäusern eingesetzt wird. Im Zuge dessen, fordern wir auch, dass den Ausbau der entsprechenden Ausbildung an deutschen Hochschulen und Universitäten.
Schluss mit künstlicher Bedarfsplanung – Einsatzaufkommen (und Kosten) senken!
– Wir fordern die Vereinfachung der Abrechnungen für Taxis mit den Krankenkassen, damit diese mehr Krankentransporte übernehmen können. Verlegungen (Interhospiztransfer) soll ohne medizinische Betreuung ermöglicht werden, wenn keine Indikation dafür besteht.
– Fahrerinnen im betreuten Fahrdienst sollen geschult werden, Tragehilfe über Treppenstufen leisten zu können und entsprechend eingesetzt werden können.
– Schluss mit künstlicher Bedarfsplanung! Immer mehr Fahrten, die immer als Notfälle in die Statistiken eingehen, treiben die Bedarfsplanung immer weiter in die Höhe. Die Antwort der zuständigen Kommunen und Landkreise ist mehr Personal und mehr
Fahrzeuge – das ist nicht zukunftsfähig. Stattdessen muss in Statistiken zwischen Notfällen und Hilfeleistungen bei pflegerischen oder unkritischen Einsätzen unterschieden werden.
– Wir JuLis sehen immer weiter steigende gesetzliche Leistungsansprüche problematisch. Unser ausufernder Sozialstaat zeigt sich letztlich auch in der akuten gesundheitlichen Versorgung. Wir fordern eine Überprüfung bestehender Transportansprüche.
Landung in 10 Minuten – Dezentrale Versorgungsstruktur aufrechterhalten
Die geplante Krankenhausreform der Bundesregierung begrüßen wir zwar, allerdings darf die Zentralisierung von stationären Krankenhauskapazitäten nicht zur Überlastung ambulanter Dienstleister – das sind auch die Rettungsdienste – in der Fläche führen.
Wir fordern:
– Die flächendeckende Aufrechterhaltung der Notaufnahmen und Schockräume. Konzepte wie Rufbereitschaftsdienste, bei denen beispielsweise Schockräume nur bei Erwartung eines (potenziell) lebensbedrohten Patienten besetzt werden, sind
ebenfalls denkbar.
– Weiterhin den Ausbau der Präventionsarbeit, z.B. gegen gefährliche chronische Erkrankungen wie
Bluthochdruck oder Adipositas.
– Einen möglichst flächendeckenden ärztlichen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr.
Zukunftsfähige Ausbildung der Rettungskräfte
Steigende Einsatzzahlen bei gleichzeitig weniger verfügbaren Notärzten machen eine bessere Ausbildung von Sanitätern notwendig. Wir fordern:
– eine einheitliche bundesweite Qualifikation von Notfallsanitätern und Rettungssanitätern mit standardisierten Abschlussprüfungen bzw. Examina. Das Kompetenzniveau wollen wir ebenfalls
bundesweit einheitlich angleichen.
– Spezifisch in Bayern fordern wir eine Änderung im klinischen Teil der Rettungssanitäter-Ausbildung:
Wir möchten den geriatrischen Ausbildungsteil durch wahlweise eine weitere Woche Einsatz in der
Notaufnahme oder Anästhesie ersetzen.
– Pflegerische Probleme gewinnen zukünftig auch für die Rettungsdienste an Wichtigkeit. Deshalb
fordern wir, pflegerische Aspekte in der Ausbildung von Sanitätern verstärkt zu berücksichtigen.
– Wir fordern bundesweit den Abschluss “Notfallmedizin” als Facharztausbildung einzurichten.
– Zukünftig fordern wir die Entwicklung eines durchgängigen und mehrstufigen Qualifikationssystems, das den Versorgungsbedarfen und Einsatzrealitäten entspricht. Zusätzliche Kompetenzen nach dem Vorbild Österreichs für Notfallsanitäter (“Kompetenzniveau i.v. Zugang, Medikamente und Intubation”) wollen wir auch in Deutschland etablieren. Darüber hinaus würden wir Weiterbildungsmöglichkeiten mit entsprechenden Zertifizierungen für Rettungssanitäter wünschen.
Vorstellbar wären die Delegation eines i.v. Zugangs, VEL- oder O2-Gabe an Rettungssanitäter. Voraussetzung ist, dass diese Maßnahme sicher beherrscht werden muss.
– Die Kosten für die Ausbildung der Notfallsanitäter soll künftig staatlich und nicht durch die
Krankenkassen getragen werden – nur so können überhaupt bedarfsgerecht und ausreichend
Notfallsanitäter ausgebildet werden.
Lebensretter müssen auch ein Leben haben
– Ständig wechselnde Schichtzeiten, anstrengende Einsätze und viel Verantwortung – der Job in
medizinischen Berufen ist kein leichter. Deshalb fordern wir JuLis, das Arbeitsumfeld von Rettungsdienstmitarbeitern attraktiver zu gestalten:
– Wir fordern mehr Weiterbildungsmöglichkeiten. Dazu soll zusätzlicher “Bildungsurlaub” für Fortbildungen wie PHTLS- und ACLS-Schulungen etc. gewährleistet und eine finanzielle Förderung für besonders motivierte Einsatzkräfte in Aussicht gestellt werden.
– Weiterbildung für Führungskräfte (Rettungsdienstleistung, Wachleiter) um Drop- out-Effekte zu
reduzieren, sollen geschaffen werden.
– In den Bereitschaften soll der Wechsel in eine hauptamtliche Tätigkeit gezielt angeworben werden.
– Wir fordern, moderne und familiengerechte Formen von Schichtmodellen und Arbeitszeitgestaltung und stärken in diesem Hinblick auch unsere Forderung nach einer 24-h-Kita pro Landkreis.
– Wer Leben rettet, verdient gesellschaftliche Anerkennung, aber oft viel zu wenig Geld. Daher fordern wir, die Vergütung und steuerlichen Freibeträge für Beschäftigte im Rettungswesen – auch für Freiwilligendienstleistende (“Bufdis”) und Ehrenamtler – zu erhöhen.
Antragssteller: Landesvorstand
Gültigkeit: 5 Jahre